Alltag und Abenteuer im Doppelpack

Seit einem Monat lebe und arbeite ich nun in La Reliquia, einem armen Stadtviertel von Villavicencio. Nach dieser Zeit kann ich euch sagen: jeden Tag von neuem erlebe ich Alltag und Abenteuer in einem!

Zuerst war hier natürlich ALLES neu für mich. Die Gerüche in den Staßen, wo offen Gemüse, Fleisch, Fisch, Arepas und Empanadas angeboten werden. All dieGeräusche, es ist immer laut, von irgendwo her hört man den ganzen Tag lateinamerikanische Musik. In Deutschland sind die Straßen ab 22 Uhr leer und ruhig, hier wird rund um die Uhr gelebt, gesungen und gearbeitet. Sauberes Trinkwasser aus dem Hahn gibt es nicht und Kriminalität gehört zum Alltag dazu. Zum Beispiel ist es jetzt am Anfang noch zu gefährlich für mich, alleine das Haus zu verlassen. Ich falle hier doch gaaaanz schön auf;)

Das sollte also jetzt meine neue Lebensrealität für die noch verbleibenden 10 Monate sein? Da gab es anfangs doch ganz schön viel zu verarbeiten. Ich hab ein bisschen Zeit gebraucht, um alle Gedanken zu sortieren und meinen Kopf und mein Herz voller neuer Eindrücke zu beruhigen. Doch nach 2 Monaten, bin ich so weit;) Ich würde ich sagen – ICH BIN ANGEKOMMEN. Deshalb will ich euch in diesem Artikel einen Einblick in meinen Alltag geben. Der Alltag und Abenteuer in einem ist!

Hier im Kindergarten San José gibt es eine Wohnung, die direkt an das Gebäude angeschlossen ist. Hier wohne ich mit den drei Ordensschwestern Irma, Martina und Geraldina zusammen. Ein Mädels-Haushalt;) Die drei haben mich von Anfang an herzlich aufgenommen und mittlerweile fühle ich mich wie zu Hause.

Mein Tag startet um 7:00, einen weiten Weg zur Arbeit habe ich ja zum Glück nicht! Eine Stunde bevor der Kindergarten öffnet, treffen sich alle Mitarbeiter, um den Tag mit einem Gebet zu beginnen. Der Glaube und das Vertrauen in Gott hat hier eine große Bedeutung. Es wird gedankt und daran vertraut, dass Gott alles so lenkt, wie es kommen soll. Nach dem Gebet besprechen wir, was an diesem Tag alles ansteht und welche Aufgaben es zu erledigen gibt. Um 8:00 öffnen sich die Türen und bis zu 150 Kindergartenkinder rennen auf uns zu und begrüßen uns. Jeden Tag ganz viel Liebe und Wärme, aber auch Lärm versteht sich;)

Die Kinder bekommen gesunde 3 Mahlzeiten: Frühstück, Mittagessen (auf Spanisch: almuerzo) und einen Snack, bevor sie nach Hause gehen. Die Menge an Lebensmitteln deckt den Grundbedarf jedes Kindes. Das Essen gehört zu einer der wichtigsten Hilfen, die die Stiftung den Kindern schenkt, denn viele Familien haben einfach nicht genug Geld für Lebensmittel, weshalb die Kinder unter Unterernährung leiden.

Außer der Ernährung, werden die Kinder und Familien auch psychologisch begleitet. Der Psychologe Jaider hat immer ein Auge auf eventuelle Gewalt oder Kriminalität in Familien und besucht alle deshalb regelmäßig zu Hause. Wenn ein Kind mal krank werden sollte, ist die Kinderkrankenschester Cindy direkt zur Stelle. Alle Grundbedürfnisse der Kinder werden gedeckt.

Auch das Grundbedürfnis LEBEN. Es gibt viel Zeit zu spielen, die Kinder lernen, wie man sich unter Freunden und in der Gemeinschaft verhält, dass man teilt, seinen Emotionen Raum geben und auch mal nachgeben kann. Ich gebe jeder Gruppe einmal die Woche Musik-Unterricht. Zusammen Lieder zu lernen und mit den Kindern mein Privileg zu teilen, dass ich Ukulele und Klavier spielen kann, macht mich wahnsinnig glücklich. Und Musik verbindet! Gerade üben wir „Stille Nacht“, auf Deutsch und Spanisch;)

Jeder Monat steht unter einem neuen Thema. Das Motto des Oktobers war „Unser Land Kolumbien“. Jede der fünf Kindergartengruppen lernte in 4 Wochen alles über eine Region Klumbiens: die Karibik-Küste, die Pazifik-Küste, die Region in den Anden, und die östliche Region bis zum Fluss Orinoco. Wir haben den ganzen Oktober gebastelt und gemalt, auch die Eltern haben Selbtgemachtes beigesteuert. Den krönenden Abschluss haben wir Ende Oktober gefeiert. 2 Tage lang, hat jede Gruppe ihr Zimmer im Thema ihrer Region dekoriert. Die Eltern durften ihre Kinder eine Stunde früher abholen und dann mit ihnen von Zimmer zu Zimmer, von Region zu Region reisen. Da war was loooooos sag ich euch! Alle haben sich wahnsinnig gefreut, ich war richtig bewegt. Vor allem mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass viele der Familien, ihren Bezirk, ihre Stadt nie verlassen und die anderen Regionen ihres Landes vielleicht nie sehen werden.

Um 16:00 bin ich dann fertig – nach all dem Essen-Austeilen, schwitzen, singen, Klavier und Ukulele spielen, kuscheln und lachen. Dann mach ich mich auf meinen Nachhauseweg und lieg um 16:02 meistens erstmal kurz im Schaukelstuhl, um den Alltag, oder sagen wir doch besser das ABENTEUER, jeden Tag von neuem sacken zu lassen…